Tagungsdokumentation: „Leerstellen als Chance: Historische Vermittlungsformen an Orten ehemaliger KZ-Außenlager in tschechisch-deutscher Perspektive.“

Symbolbild zum Artikel. Der Link öffnet das Bild in einer großen Anzeige.

Tagungsdokumentation: „Leerstellen als Chance: Historische Vermittlungsformen an
Orten ehemaliger KZ-Außenlager in tschechisch-deutscher Perspektive.“

Studierende des „Basismoduls Konkretion Geschichtskultur: KZ-Außenlager in binationaler Perspektive“ (Dozentin: Nadja Bennewitz) haben sich im WS 2022/23 eingehend mit der Tagung des Lehrstuhls Didaktik der Geschichte beschäftigt, die im Oktober 2022 stattfand und den Titel trug: „Leerstellen als Chance: Historische Vermittlungsformen an Orten ehemaliger KZ-Außenlager in tschechisch-deutscher Perspektive“. Sie haben die Tagung begleitet, fotografiert und Protokolle geschrieben und sie haben Interviews mit den beteiligten geschichtskulturellen Akteur:innen geführt (Thomas Muggenthaler, Journalist des Bayerischen Rundfunks, Theaterpädagogin Anja Sparberg, Gedenkstättenpädagoge Dr. Matthias Rittner, Barbara Raub, Geschichtslehrerin). Sogar die Schülerinnen und Schüler des an der Tagung beteiligten Paul-Pfinzing-Gymnasiums Hersbruck (PPG) wurden interviewt, da sie entscheidende Beiträge zur Tagung geleistet haben.

Daraus entstanden ist eine vielseitige Tagungsdokumentation mit Fotografien der beiden Tage mit kurzen Audios und erläuternden Tagungsberichten zu einzelnen Inhalten.

Die beiden Studenten Felix Hoch und Michael Gerhäußer haben an dem wissenschaftlichen Tagungsbericht für H-SOZ-KULT mitgearbeitet, dem Portal für Kommunikation und Fachinformation für die Geschichtswissenschaften, der hier abrufbar ist. 

Die Studierenden des Basismoduls „Konkretion Geschichtskultur: Geschichte im Denkmal“ (Dozent: Leonard Stöcklein) haben sich eingehender mit der tschechischen Perspektive beschäftigt und über bestehende Mahnmale an ehemaligen KZ-Außenlagern im heutigen Tschechien ein Paper verfasst.

Die Studentin Simone Fraßa, Lehramtsstudentin für das Gymnasium im Fach Geschichte an der FAU, hat die Veranstaltung im Folgenden dokumentiert.

„Leerstellen als Chance“ – Eine Tagungsdokumentation von Simone Fraßa

Die Tagung „Leerstellen als Chance | Historische Vermittlungsformen an Orten ehemaliger KZ-Außenlager in tschechisch-deutscher Perspektive. Die Beispiele Hersbruck und Litoměřice“ fand am Freitag, 28.10.2022, am Paul-Pfinzing Gymnasium in Hersbruck und am Samstag, 29.10.2022 am Department Fachdidaktiken der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) in Nürnberg statt. Veranstaltet wurde die Tagung vom Lehrstuhl Didaktik der Geschichte (FAU) zusammen mit dem Paul-Pfinzing-Gymnasium Hersbruck (PPG), dem Staatstheater Nürnberg und der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg in Kooperation mit dem Josef Jungmann Gymnasium Litoměřice und der Faculty of Science, Humanities & Education, Technische Universität Liberec.

Im Zentrum des ersten Tages stand die Förderung und Organisation des Austausches junger Menschen zwischen Bayern und Tschechien. Für die Gestaltung des ersten Tagungstages waren hauptsächlich Schüler:innen, Studierende und geschichtskulturelle Akteur:innen verantwortlich. 

Der erste Veranstaltungstag startete mit der Begrüßung des Schulleiters Rolf Rosignuolo des PPG. Die Leiterin der Theaterpädagogik des Staatstheaters Nürnberg, Anja Sparberg, die Geschichtslehrerin Barbara Raub und der Gedenkstättenpädagoge Dr. Matthias Rittner leiteten das Publikum jeweils in die Themenfelder der Performances ein. In der ersten Performance, die das Staatstheater Nürnberg gemeinsam mit den Schüler:innen des Paul-Pfinzing Gymnasiums gestaltet hatte, standen die „Verkehrsschilder der Gerechtigkeit“ im Zentrum. Mithilfe dieser wurde sich klar gegen Ausgrenzung positioniert.

Was hatte die Performance mit der Tagung zu tun?

Ein Interview zur Theaterpädagogik mit Anja Sparberg und Burak Uzun von Giulia Käser

Anja Sparberg, Staatstheater Nürnberg

 

Dies fragten sich viele Student:innen, die die Tagung mitverfolgen durften. Anja Sparberg erklärt im folgenden Gespräch mit der Studentin Giulia Käser vom Lehrstuhl Didaktik der Geschichte (FAU) genauer, was die Performance darstellen soll und inwiefern ein Zusammenhang zu der gesamten Tagung besteht.

Burak Uzun, Staatstheater Nürnberg

 

Burak Uzun vom Staatstheater Nürnberg ist bekannt für seinen Fokus auf Performances mit Jugendlichen und Kindern. So wirkte er neben Anja Sparberg und Barbara Raub als Hauptakteur in der Gestaltung der Verkehrsschilder Performance. Wie genau er das Tagungsthema mit der Unterstufe aufarbeitet, erfahren wir hier:

Im Anschluss folgte ein Zeitzeugengespräch mit der 1936 geborenen Irmingard Philipow, eine Augenzeugin für die Geschehnisse um das KZ-Außenlager Hersbruck sowie spätere Akteurin der lokalen Geschichtskultur als Stadträtin im Hersbrucker Stadtparlament. Geführt wurde das Gespräch von Leonard Stöcklein, Mitinitiator der Tagung und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Didaktik der Geschichte an der FAU, und seiner Studentin Hannah Trapp, einer Lehramtsstudentin der FAU im Fach Geschichte.

Mehr zu Hannahs Erfahrung mit dem Zeitzeuginneninterview finden Sie hier:
https://www.fau.de/2022/11/news/studium/zeitzeugengespraeche-im-studium-eine-seltene-gelegenheit/.

Anschließend wurde ebenfalls von den Schüler:innen des PPG die Performance „Brieffreundschaft oder: Wie kommen wir ins Gespräch?

Foto: Jutta Missbach

Briefwechsel von Hersbruck nach Litoměřice und zurück“ aufgeführt. Der „Briefwechsel“ zwischen den Schüler:innen des deutschen sowie tschechischen Gymnasiums handelte zunächst von einem Austausch zwischen Jugendlichen über Hobbys, das Leben während Corona sowie die Beschreibung der jeweiligen Städte. Im Laufe des Austausches wurden jedoch auch die Geschichte der Konzentrationslager Hersbruck und Litoměřice thematisiert.

„Du hast Recht, die Fabrik Richard hat eine sehr traurige Geschichte. Ich kannte sie nicht und ich finde es sehr schade, dass viele aus deiner Stadt nichts über sie wissen, weil sie doch eine traurige, aber auch wichtige Geschichte hat.
Ich finde es sehr grauenvoll, was damals passiert ist, und deswegen finde ich es umso wichtiger, dass wir möglichst viel über unsere Vergangenheit lernen. Deswegen hoffe ich, dass du jetzt das ein oder andere mehr über das Leben der Häftlinge damals weißt.
Liebe Grüße Hanna

Begonnen wurde das Projekt des Briefwechsels bereits in der 9. Jahrgangsstufe, die Präsentation fand in der 10. Klasse statt. Da durch Corona-Maßnahmen die Umsetzung vieler Ideen für das Projekt des Briefwechsels nicht möglich waren, wurde bei dieser Performance laut Anja Sparberg viel mit Improvisation gearbeitet.

Zwei kurze Videomitschnitte sind hier zu sehen:

 

Zur Mittagszeit begaben sich alle Tagungsmitglieder auf einen Fußmarsch in Richtung des Hersbrucker Bahnhof rechts der Pegnitz.

 

 

Am Bahnhof wurden die Tagungsleiter:innen Anja Sparberg und Dr. Matthias Rittner von Landrat Armin Kroder begrüßt.

 

 

 

Am Bahnhof folgte die dritte Performance mit einem Rollenspiel der Schüler:innen mit dem Titel „Die Geschichtsstunde oder Menschen sind halt keine Helden.“ Basis für diese Perfomance ist die Filmdokumentation „Todeszug in die Freiheit“ sowie eine Geschichtsstunde mit Dr. Matthias Rittner. Als man eine Schülerin fragte, wie es zu dem Satz „Menschen sind halt keine Helden“ gekommen sei, antwortete diese:

„Nun in dem Rollenspiel waren wir alle sehr auf Sicherheit bedacht und das war eine Erklärung: jeder will die einen, die einem wichtig sind, schützen und das ist mehr die Priorität als die Menschen zu retten, die man vielleicht nicht kennt. Trotzdem war es schön zu sehen, dass ein ganzes Dorf gemeinsam anders gehandelt hat.“ – Yasha

Eine ausführliche Darstellung der Performance findet sich in dem Tagungsbericht von Dr. Johannes Möhler, Mitarbeiter am Lehrstuhl Didaktik der Geschichte.

Ein kurzer Videomitschnitt der Performance findet sich hier:

 

Dass Rollenspiele in Zusammenhang mit Theater eine gute Vermittlungsmethode sein können, ist bekannt. Aber funktioniert das auch in Zusammenhang mit dem Fach Geschichte? Und wie vereinbaren wir ein sensibles Thema der Geschichte mit Theater?

Die Studentin Giulia Käser im Gespräch mit Anja Sparberg und einigen Schüler:innen zum Thema Rollenspiel:

Den wichtigsten Teil der Tagung boten uns die Schüler:innen. Durch ihre Performances und ihr hohes Interesse stellten sie unter Beweis, dass Geschichte auch anders vermittelt werden kann. In einem weiteren Interview erklären vier Schüler:innen aus der Klasse von Geschichtslehrerin Barbara Raub, ob und wieso Theaterpädagogik in Verbindung mit Geschichte den Unterricht auflockern könnte.

Nach einer Mittagspause im Deutschen Hirtenmuseum ging die Tagung mit einem Vortrag über Tschechisch-deutsche Jugendbegegnungen weiter. Die Referentin Teresa Hartl berichtete über Chancen durch das Theaternetzwerk Čojč, einem grenzübergreifende Netzwerk Böhmen-Bayern.

Mehr zu Čojč: https://www.cojc.eu/de/.

 

Ergänzend dazu wurde von Ulrike Flügl über die Organisation Tandem berichtet, die den Internationalen Jugendaustausch zwischen Deutschland und Tschechien fördert und ein Koordinierungszentrum Deutsch-Tschechischer Jugendaustausche ist.

Mehr zu Tandem: https://www.tandem-org.de/

 

 

 

 

Danach stellten die fünf Studentinnen Ester Adamová, Tereza Knoflíčková, Barbora Košková, Michaela Jebavá und Zuzana Cilerová zusammen mit ihrer Dozentin PhDr. Katerina Portmann, Faculty of Science, Humanities and Education, Tschechische Universität Liberec im Rahmen des Vortrages „‘Erinnerungsorte‘: Arbeit mit ‚Holocaustbiografien‘ am Beispiel von KZ-Außenlagern“ die Biografien der Familien Perlmann, Rosenbach und Goltz sowie das Projekt der Stolpersteine vor.

Ein kurzer Videomitschnitt findet sich hier:

 

Nach der Kaffeepause folgte die Vorführung des Filmes „Todeszug in die Freiheit“ mit einem anschließenden Gespräch mit dem Regisseur Thomas Muggenthaler, Bayerischer Rundfunk, BR-Studio Ostbayern Regensburg.

Der Film kann hier abgerufen werden: https://www.youtube.com/watch?v=ldkBMjPFtqA

Thomas Muggenthaler, Bayrischer Rundfunk

 

Der Lehramtsstudent für das Gymnasium im Fach Geschichte an der FAU Michael Waldmann hat ein Interview mit Thomas Muggenthaler geführt und daraus einen 5-minütigen Podcast geschnitten:

Als Abschluss des ersten Tages der Tagung stellte Lena Albert, Lehramtsstudentin, Didaktik der Geschichte, Otto-Friedrich-Universität Bamberg, das Projekt der Digitalisierung von Häftlingsbiografien des ehemaligen KZ-Außenlagers Hersbruck vor, das sie für den Verein Dokumentationsstätte KZ Hersbruck e.V. im Rahmen ihrer Zulassungsarbeit durchführt.

Mehr zu dem Verein Dokumentationsstätte KZ Hersbruck: https://www.kz-hersbruck-info.de/

____________________________________________________________________________________________________

Veranstalter:

Lehrstuhl Didaktik der Geschichte der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

KZ-Gedenkstätte Flossenbürg

Paul-Pfinzing Gymnasium Hersbruck

Staatstheater Nürnberg

In Kooperation mit:

Josef-Jungmann Gymnasium Litoměřice

Faculty of Science, Humanities & Education, Technische Universität Liberec

Tagungsleitung

Nadja Bennewitz M.A., Historikerin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Didaktik der Geschichte

Barbara Raub OStRin, Gymnasiallehrerin in den Fächern Geschichte, Deutsch und Sozialkunde, Paul-Pfinzing Gymnasium Hersbruck

Dr. Matthias Rittner, wissenschaftliche Mitarbeiter in der Bildungsabteilung der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg

Anja Sparberg M.A., M.A., Leitung der Abteilung Theaterpädagogik am Staatstheater Nürnberg

Leo Stöcklein, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Promovend am Lehrstuhl Didaktik der Geschichte

Gefördert durch:

Finanziell unterstützt wurde die Tagung von der Bayerisch-tschechischen Hochschulagentur BTHA, dem Förderverein Geschichtswissenschaft der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, dem Landkreis Nürnberger Land, dem Ulrich Griebel Preis „Summa-cum-Laude“ sowie dem Rotary Club Nürnberger Land.

____________________________________________________________________________________________________

Abschließende Reflexionen der Student:innen der Geschichtsdidaktik, die an der Tagung teilgenommen haben:

Zur Performance „Verkehrsschilder der Gerechtigkeit“:

Es ist beeindruckend gewesen, zu sehen, wie viele Schülerinnen und Schüler sich für diese Botschaften aus der Performance einsetzen würden. Man hat den Eindruck bekommen, dass sie diese Punkte wirklich vermitteln wollten und nicht nur „aus Prinzip“ mitgemacht haben – obwohl es einigen der ja noch jüngeren Kinder sichtlich etwas peinlich war, so im Mittelpunkt zu stehen.

Zur „Brieffreundschaft oder: Wie kommen wir ins Gespräch? Briefwechsel von Hersbruck nach Litoměřice und zurück“:

Grundsätzlich ist die Idee, soziale Kontakte zu den Schülerinnen und Schülern einer Partnerschule in einem anderen Land zu knüpfen, sehr gut: Man lernt, höflich aufeinander zuzugehen, ist gezwungen, eine andere Perspektive einzunehmen, man muss sich ebenbürtig gegenübertreten. So hat die Brieffreundschaft einen überraschend positiven Einblick in den heutigen Kontakt zwischen tschechischen und deutschen Schülerinnen und Schülern gegeben.

Allerdings ist der Briefaustausch in der heutigen digitalen Welt doch ein Auslaufmodell, auch wenn die Schülerinnen und Schüler schließlich auf Mails übergangen sind. Hätten sie per WhatsApp kommuniziert, wäre der Austausch noch authentischer gewesen. Dann hätte der Austausch im Ping-Pong-Verfahren erfolgen können, die Nachrichten wären schneller hin und her gelaufen, dies hätte auch in der Lesung so inszeniert werden können und der Austausch hätte sich nicht so in die Länge gezogen. Gerade, weil man sich bei kurzen Statements auf die zentralen Informationen konzentrieren muss: Was ist wesentlich?

Doch muss bei dieser Idee auch bedacht werden: Sich über die Geschichte der KZ-Außenlager in der eigenen Stadt über Kurznachrichten auszutauschen, wäre wohl nicht angebracht. Dazu eignet sich diese Kommunikationsform wiederum nicht.

Zum Rollenspiel „Die Geschichtsstunde oder Menschen sind halt keine Helden“:

Das Rollenspiel am Bahnhof durchzuführen, war eine tolle Idee der Schülerinnen und Schüler! Dadurch konnte dem Publikum bewusst gemacht werden, wie die Unübersichtlichkeit am Bahnhof und am Bahnsteig für die Hilfe und Unterstützung durch die Ortsbewohner:innen genutzt werden konnte. Manchmal hätten die Schülerinnen und Schülern zwar lauter sprechen können, doch ist die Performance sehr gut einstudiert gewesen und hat das Interesse geweckt für den Film, der im Anschluss noch auf der Tagung gezeigt wurde. Das Nachgespräch mit den Jugendlichen ergab, dass sie sich selbst nie getraut hätten, so viel Unterstützung zu leisten, sie hätten sich viel stärker zurückgehalten. Doch die Erfahrung, dass man sich in einer Gruppe mehr zutraut als nur als Einzelperson, sei sehr wichtig gewesen – und das ist ja auch eine wichtige Message! Ein solches Rollenspiel im Unterricht einzuüben, haben die Jugendlichen insgesamt „supertoll“ gefunden, es sei eine gute Erfahrung gewesen, so etwas im Geschichtsunterricht gemacht zu haben. Die Performance vor Publikum sei dabei gar nicht so wichtig gewesen.

Schade war, dass unter den Teilnehmer:innen der Tagung wenig junge Menschen waren – abgesehen von den mitwirkenden Schüler:innen und Referent:innen.

Welche Vermittlungschancen an diesen Orten ehemaliger Verbrechen sehen Sie – obwohl die Spuren verwischt sind?

Ich finde, auch Orte ehemaliger Außenlager sollten besucht werden, natürlich sollten trotzdem auch weiterhin die großen KZ-Gedenkstätten aufgesucht werden. Aber besonders für die Ausbildung eines regionalen historischen Bewusstseins und für ein besseres Verständnis von dem Netz an Lagern in NS-Deutschland (und evtl. auch im Ausland) halte ich es für sinnvoll.

Die Vermittlungschancen bestehen darin, dass eine Nähe hergestellt wird. Somit wird aufgezeigt, dass die NS-Verbrechen auch in unmittelbarer Nähe des eigenen Wohnortes stattgefunden haben. Die Dimensionen der Taten können so auch nochmal leichter vermittelt werden. Es sollte immer zu großen Gedenkstätten gegangen werden, aber wenn möglich auch zu kleinen regionalen, auch wenn die Spuren verwischt sind. Große Gedenkstätten ermöglichen viel mehr Input (Kompetenzförderung, Anschaulichkeit usw.) als kleinere Gedenkorte, doch kleine, regionale können ein Gefühl für das Ausmaß der Verbrechen und die Beteiligung der Menschen in der eigenen Region ermöglichen.

 

Fotografische Impressionen des zweiten Tags der Tagung, Sa, 29.10.2022

Auf der wissenschaftlichen Plattform HSozKult ist ebenso ein Bericht zur gesamten Tagung – insbesondere ausführlich zum akademischen Samstag – veröffentlicht worden.

 

Veranstaltungsort: Lehrstuhl Didaktik der Geschichte FAU, Department Fachdidaktiken, Campus Nürnberg, Regensburger Str. 170

Prof. Dr. Charlotte Bühl-Gramer, Inhaberin des Lehrstuhls Didaktik der Geschichte der FAU Erlangen-Nürnberg, begrüßte als „Hausherrin“ die Tagungsteilnehmer:innen. Sie hob das Zusammendenken von Wissenschaft und Vielfalt schulischer Vermittlungsangebote in Bezug auf die randständige Erinnerungskultur zum KZ-Außenlagersystem in Deutschland und Tschechien positiv hervor.

 

 

Die Tagungsleiter:innen Nadja Bennewitz und Leo Stöcklein, wissenschaftliche Mitarbeiter:innen des Lehrstuhls Didaktik der Geschichte, gaben unter dem Titel „Lokale Geschichtskultur in Hersbruck nach 1945“ einen Überblick über die literarische, wissenschaftliche und erinnerungskulturelle Aufarbeitung des KZ-Außenlagers seit 1945, welche vorrangig den Überlebenden und engagierten Personen der Zivilgesellschaft zuzuschreiben war.

 

 

 

Dr. Alfons Adam, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Topographie des Terrors in Berlin, sprach über den Umgang mit dem Außenlager Litoměřice / Leitmeritz nach 1945 in Tschechien. Er monierte in seinem Fazit das noch immer mangelnde Interesse an dem Gelände. Das tschechische Geschichtsnarrativ orientiere sich an der Erzählung des „Protektorats Böhmen und Mähren“, während die Gewaltgeschichte insbesondere im Schulunterricht keine Rolle spiele.

 

 

Eine ausführliche Darstellung des Vortrags von Dr. Alfons Adam „Das unbekannte Lager bei Theresienstadt (Terezín). Der Umgang mit dem KZ-Außenlager Leitmeritz in der Tschechoslowakei/Tschechien“ findet sich in dem Tagungsbericht von Dr. Martina Switalski, Mitarbeiterin am Lehrstuhl Didaktik der Geschichte.

 

Christoph Maier, Promovend am Lehrstuhl für bayerische und fränkische Landesgeschichte FAU Erlangen-Nürnberg, schilderte die gesellschaftspolitische Aufarbeitung des Außenlagers seit Beginn der 1950er Jahre.

 

 

 

 

Bei der Diskussion zu Hersbruck wurde erneut eine zivilgesellschaftlich getragene und wissenschaftliche begleitete Öffnung, Begehung und Nutzung der Stollen als Lern- und Erinnerungsort in der Houbirg gefordert.

 

 

Dr. Katerina Portmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Neueste Geschichte der TU Liberec, nahm in ihrem Beitrag die Gerichtsbarkeit gegen NS-Verbrecher:innen in Tschechien in den Blick, welche sie europaweit als die strengste und härteste charakterisieren würde.

 

 

 

 

Ivan Rous, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Museum Liberec, schilderte in seinem Vortrag, wie sich die ansässige Wirtschaft und die deutschsprachige Bevölkerung im Sudetenland zunächst eine ökonomische Verbesserung durch die NS-Besatzung erhofften. Er nannte Hinweise, laut denen die Rüstungsindustrie teilweise selbst Konzentrationslager errichtet habe. Auf Nachfragen des Publikums betonte der Referent, dass es dazu noch Forschungsbedarf gäbe.

 

 

 

Dr. Lubor Lacina, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Museum Liberec, stellte den jetzigen „Zustand“ der Außenlager in der Region um Liberec vor. Von 39 KZ-Außenlagern der Stammlager Flossenbürg, Großrosen und Auschwitz, die zwischen 1942-45 errichtet wurden und von denen über die Hälfte bauliche Relikte aufweisen, wird durch geschichtskulturelle Medien an 20 Orten eine „Erinnerung“ aufrechterhalten. Die ältere Generation wüsste von der Existenz dieser Orte eher, da sie zum Gedenken „verpflichtet“ worden sei, während das Gedächtnis der jüngeren Generationen durch die Erinnerung an den Kommunismus überlagert werde.Umfragen belegten jedoch, dass die Mehrheit der Orte der Bevölkerung zumindest ein Begriff ist.

 

 

In der Diskussion zur Erinnerungskultur in Deutschland mahnte Prof. Dr. Charlotte Bühl-Gramer an, dass das Verhältnis zwischen der NS-Geschichte und der „zweiten“ Nachgeschichte ausgeglichen sein müsse. Sie warnte vor einer „Nabelschau“, die zur Vernachlässigung der Auseinandersetzung mit der eigentlichen Geschichte der NS-Verbrechen führen könne.

 

 

Aspekte des Vortrags von Dr. Lubor Lacina „Gedenkstätten an ehemaligen KZ-Außenlagern auf dem Gebiet der heutigen tschechischen Republik“ findet sich in dem Manuskript der beiden Studentinnen Paula Rynda und Tabea Söhnlein.

 

Thomas Irmer, freier Historiker aus Berlin, stellte Smartphone Apps zur Erkundung ehemaliger KZ-Außenlager um Berlin vor und erläuterte Einsatzmöglichkeiten und Funktionen von Apps, die sich mit Geschichte befassen.

 

 

 

 

Angelika Meyer, Pädagogischer Dienst, Gedenkstätte Ravensbrück, betonte, dass eklatante Wissensdefizite zur Geschichte der Außenlager in Brandenburg bestünden, die genauso wenig erforscht seien wie jene Orte auf tschechischem Boden. Sie stellte das an Jugendliche gerichtete Projekt „überLAGERt“ vor, das versuche, diesen Leerstellen nachzukommen

 

 

 

_______________________________________________________________________________

Impressionen aus der Mittagspause am Campus Nürnberg

 

Leo Stöcklein und Dr. Helen Wagner, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte (FAU) im Gespräch.

 

 

Helen Wagner empfahl nach dem Vortrag von Bennewitz und Stöcklein, in Hersbruck bei der Umgestaltung durch Diakoneo und der Neusetzung des Informationskubus die „Zweite Geschichte“ des Lagers sowie die Debatten um den Ort in das neue Informationssystem zu integrieren. https://www.ns-medizinverbrechen-erlangen.de/

 

Der Referent Christoph Maier und Archivarin Barbara Hörmann aus Hersbruck im Gespräch.

 

 

 

Klaus Petersen und Irmingard Philipow, ehemalige Stadträtin und Augenzeugin, Hersbruck. Sie hat als Zeitzeugin am ersten Tag der Tagung im Paul-Pfinzing Gymnasium gesprochen.

 

 

 

Frank Hotze, Vorstand des Vereins „Bunter Tisch Gartenstadt und Siedlungen Süd“, und Annette Dahms, Vorstand der VVN-BdA Nürnberg/Fürth (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten) im Gespräch mit Nadja Bennewitz.

 

 

 

 

Die beiden Hilfskräfte des Lehrstuhls Franka Behrens und Julia Jacumet: Ohne deren Arbeitseinsatz und Engagement hätte die Tagung nicht stattfinden können!

 

 

 

Dr. Jascha März (links), Leitung wissenschaftliche Dienste und Archiv der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, München.

 

 

 

 

Die Referent:innen aus Tschechien, PhDr. Katerina Portman, Technische Universität Liberec, und PhDr. Lubor Lacina, The North Bohemian Museum Liberec.

 

 

 

Die beiden Tagungsleitungen vom Freitag, Dr. Matthias Rittner, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bildungsabteilung KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, und OStR Barbara Raub, Geschichtslehrerin am Paul-Pfinzing-Gymnasium Hersbruck.

 

 

Patrick Blos, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Lehrstuhls Didaktik der Geschichte, und Dr. Astrid Betz, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände.

 

 

 

 

Studierende des Seminars „Konkretion Geschichtskultur: KZ-Außenlager in Binationaler Perspektive“ (Dozentin: Nadja Bennewitz)

 

 

 

Ulrike Flügl, Tandem. Koordinierungszentrum Deutsch-Tschechischer Jugendaustausch.

 

 

 

______________________________________________________________________________________________________

Fazit der Tagung

Konnte die Tagung aufzeigen, dass man „Leerstellen“ als Chance verstehe könne?

Am Ende der zweitägigen Tagung zogen die Tagungsleiter:innen Nadja Bennewitz und Leo Stöcklein Bilanz: Eine Stärke dieser Tagung sei es sicherlich, aufgezeigt zu haben, wie zum einen durch die Vernetzung akademischer Forschung und schulischer Praxis, zum anderen durch außerschulische Kooperationen mit Theaterpädagogik und Gedenkstättenpädagogik das Thema im Geschichtsunterricht in den beiden Nachbarländern Tschechien und Bayern produktiv, innovativ und praxisgerecht behandelt werden kann. Durch die Arbeiten über ein Schuljahr hinweg sei den Schüler:innen ein Perspektivwechsel ermöglicht worden. Die vielfältige Auseinandersetzung mit den Orten durch die Student:innen und Schüler:innen habe aufgezeigt, dass materielle Leerstellen zu Lehr- und Lernstellen werden können, der Mangel an baulichen Relikten somit keineswegs zwangsläufig einen Mangel an Diskurs und gesellschaftlicher Diskussion nach sich zieht. Es müsse dennoch weiterhin offen bleiben, welchen Stellenwert und welches Gewicht man der „zweiten Geschichte“ der Lager im Vergleich zur Geschichte des Nationalsozialismus in der Vermittlungsarbeit zukünftig verleihen möchte. Das machten die ausdauernden und kontroversen Diskussionen an den zwei Tagungstagen deutlich. Dennoch konnte die Tagung für die Implementierung der Nachgeschichte nationalsozialistischer Verbrechen „vor der Haustür“ in die Vermittlungsarbeit wichtige Impulse setzen.

Perspektivisch müssten die geschichtskulturellen Entwicklungen in beiden Ländern stärker in zeitlicher Perspektive in den Blick genommen und miteinander verglichen werden, so insbesondere die großen politischen Brüche, um aufzeigen zu können, ob und wie sich diese Transformationen „im Kleinen“ im Umgang mit den Hinterlassenschaften der ehemaligen KZ-Außenlager widerspiegelten. So könnten Unterschiede, aber auch Ähnlichkeiten zwischen dem Gedenken in Tschechien und Bayern stärker herausgearbeitet werden. Die Tatsache, dass sich Tschechien als „Opferland“ verstanden habe, während die bundesdeutsche Gesellschaft die Rolle des „Täterlandes“ nur zögerlich anzunehmen bereit war, habe starke Wirkung auf das historische Bewusstsein von und über die Außenlager gehabt. Ein weiterer Einbezug der ostdeutschen Bundesländer, das machte der Beitrag von Angie Meyer deutlich, wäre hier ertragreich.